Lexikon Krankheiten A-Z

Bandscheibenvorfall

Lesedauer unter 9 Minuten

Beim Bandscheibenvorfall tritt der gallertähnliche Kern, der im Inneren der Bandscheibe liegt, nach außen. Die Gallertmasse kann auf Nervenbahnen in der Umgebung drücken und Schmerzen, Gefühlsstörungen oder sogar Lähmungen auslösen.

Was ist ein Bandscheibenvorfall?

Wie kleine Puffer sitzen die Bandscheiben zwischen den Wirbelkörpern von Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule. Die bestehen aus einem weichen geleeartigen Kern (Nucleus pulposus), der von einem derben fasrigen Ring (Anulus fibrosus) umschlossen wird. Die Bandscheiben ermöglichen den Wirbeln, sich gegeneinander zu drehen oder zu kippen und dämpfen Stöße ab. Im Lauf des Lebens verändern sich jedoch Form und Elastizität der Bandscheiben – sie werden anfälliger für Verletzungen und verschleißen. Durch Dreh-, Stoß- oder Druckbelastungen kann ein Bandscheibenvorfall (Diskusprolaps) entstehen. Dabei hält der äußere Knorpelring dem von innen wirkenden Druck des Bandscheibenkerns nicht mehr stand. Ein Teil dieses gallertartigen Bandscheibenkerns kann nach außen "rutschen".

Oft bleibt der Prolaps unbemerkt

Je nach Menge und Lokalisation des austretenden Kerns sind die Auswirkungen eines Bandscheibenvorfalls sehr unterschiedlich. Bestenfalls bemerken Betroffene den Prolaps gar nicht. In anderen Fällen kann die gallertige Substanz die Nervenbahnen in der Umgebung so stark zusammendrücken, dass sie gereizt oder im schlimmsten Fall dauerhaft geschädigt werden. Denn direkt hinter den Wirbelkörpern verläuft das Rückenmark mit den Nervenbahnen in den Wirbelbögen. Empfindlich sind auch die sogenannten Nervenwurzeln.

Am häufigsten tritt ein Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule auf. Aufgrund der höheren Gewichtsbelastung sind die Bandscheiben zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel sowie in der Verbindung vom fünften Lendenwirbel zum Kreuzbein besonders gefährdet.

Bricht der Kern nicht komplett durch den Faserknorpelring hindurch, sondern wölbt ihn lediglich vor, spricht man von einer Bandscheibenprotrusion. Diese Vorwölbung kann ähnliche Beschwerden verursachen wie ein Bandscheibenvorfall, wenn sie auf Nervenbahnen des Rückenmarks drückt.

Welche Ursachen hat der Bandscheibenvorfall?

Mit dem Alter nimmt der Feuchtigkeitsgehalt des Bandscheibenkerns nach und nach ab. Die Bandscheibe schrumpft und verändert ihre Form, der äußere Faserring bekommt kleine Risse. Hohe Cholesterin- oder Harnsäurewerte sowie das Rauchen verschlechtern die Ernährung des Knorpelgewebes der Bandscheiben zusätzlich. So werden sie noch anfälliger für Verschleiß und Verletzungen.

Sind die Rücken- und Bauchmuskulatur schlecht trainiert oder nicht gleichmäßig stark entwickelt, muss die Wirbelsäule einen größeren Teil der Stabilisierungsarbeit übernehmen. Der Druck auf die Bandscheiben steigt dadurch weiter. Besonders belastend sind dauerhafte einseitige Körperhaltungen. Auch die tägliche Arbeit am Schreibtisch kann die Wirbelsäule unter Stress setzen. Oft reicht dann eine unglückliche Bewegung oder eine falsch ausgeführte Belastung, beispielsweise das Anheben einer Last mit gebeugtem Rücken. Dann gibt der äußere Faserring der Bandscheibe dem Druck des inneren Bandscheibenkerns nach.

Die Ursache eines Bandscheibenvorfalls ist also meist eine Kombination aus Verschleiß und Fehlbelastung. Nur in Ausnahmefällen entsteht ein Bandscheibenvorfall als Folge eines akuten Traumas, etwa bei starker Stauchung oder Verdrehung der Wirbelsäule bei einem Unfall oder Sturz.

Bandscheibenvorfall vorbeugen

Den besten Schutz vor einem Bandscheibenvorfall bietet eine gut trainierte Rumpfmuskulatur. Bauch- und Rückenmuskeln können die Wirbelsäule besonders gut entlasten, wenn sie gleichmäßig trainiert sind. Vor allem Menschen, die häufig Probleme mit dem Rücken haben oder schwere Lasten heben müssen, sollten rückenschonende Arbeitstechniken erlernen.

Auch ein regelmäßiger Wechsel zwischen Sitzen und Stehen schont den Rücken. Besonders gut geeignet sind zum Beispiel Computerarbeitsplätze, bei denen sich die Tischhöhe entsprechend variieren lässt. Straffe Sitzpolster und eine aufrechte Sitzposition sind besser als tiefe, weiche Sitzmöbel, in denen man versinkt. Das Gleiche gilt beim Bett für die Wahl der Matratze.

Auch die Ernährung und die Lebensgewohnheiten sind wichtig für einen gesunden Rücken. Rauchen, hohe Cholesterin- oder Harnsäurewerte und Übergewicht sind Risikofaktoren, die jeder Mensch meiden kann. Wer häufig unter Stress leidet, sollte Entspannungstechniken erlernen, die auch dabei helfen, die Rückenmuskulatur zu entlasten.

Welche Beschwerden können auftreten?

Die Symptome eines Bandscheibenvorfalls hängen von der Stelle ab, an der der Prolaps stattgefunden hat. Wichtig ist außerdem, in welcher Richtung der Gallertkern der Bandscheibe den Faserknorpel durchstoßen hat. Durchbrüche nach vorn bleiben oft unbemerkt, weil hier keine wichtigen Nervenbahnen verlaufen. Da das Bandscheibengewebe meist seitlich austritt, bleiben die Beschwerden häufig auf eine Körperseite beschränkt. Tritt das Bandscheibenmaterial nach hinten durch, kann es den Wirbelkanal einengen und auf das Rückenmark oder dessen Fortsetzung drücken, nämlich auf die Nervenbündel des sogenannten Pferdeschweifs (Cauda equina).

Die wichtigsten Symptome sind:

  • plötzliche, starke einseitige oder beidseitige Rückenschmerzen mit Verspannung der Rückenmuskulatur
  • plötzlich auftretende starke Schmerzen, Taubheit oder Kribbeln in einem oder in beiden Armen und Beinen; sie können auch im Bereich von Bauch und Rücken auftreten – je nach Höhe des Prolapses.
  • motorische Schwäche oder Lähmung von Muskeln einer oder beider Körperseiten
  • Gefühls- oder/und Funktionsstörungen von Harnblase oder Mastdarm mit möglichem Verhalt oder Inkontinenz
  • Störungen der Potenz und sexueller Reflexe
  • Muskellähmungen oder ein Verlust der Darm- oder Blasenkontrolle sowie der Sexualfunktion sind immer ein Anzeichen für einen schweren neurologischen Notfall. Solche Beschwerden müssen unverzüglich ärztlich abgeklärt und behandelt werden.   

Welche Untersuchungen gibt es?

Es gibt einige Erkrankungen der Wirbelsäule, die ähnliche oder sogar identische Symptome auslösen, aber ganz andere Ursachen haben. Deshalb ist eine umfassende ärztliche Untersuchung besonders wichtig.

Anamnese und körperliche Untersuchung

An erster Stelle steht ein Arzt-Patientengespräch unter anderem mit folgenden Fragen: Wann sind welche Beschwerden aufgetreten? Haben sich diese langsam oder plötzlich bemerkbar gemacht? Wichtig sind auch Informationen zu körperlichen Belastungen, der beruflichen Tätigkeit sowie den Lebens- und Ernährungsgewohnheiten. Auch psychischer Stress kann Verspannungen der Rückenmuskulatur auslösen, die die Bandscheiben unter Druck setzen. Aufschluss geben auch Fragen nach ähnlichen Problemen oder bekannten Krankheiten innerhalb der Familie, da die Neigung zu bestimmten Erkrankungen wie etwa der Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) vererbbar ist.

Im Anschluss folgt eine Untersuchung, bei der vor allem der Umfang, die Funktion, die Kraft der Muskeln und die Reflexe in den Nervenbahnen getestet werden. Erhärtet sich der Verdacht einer Erkrankung der Wirbelsäule, folgen weitere Untersuchungen.

Röntgen, MRT, CT

Die herkömmliche Röntgenuntersuchung wurde beim Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall weitgehend von computergestützten Schichtbildtechniken abgelöst. Sie liefern wesentlich mehr Informationen über die Feinstruktur der Wirbelsäule. Als besonders aussagekräftig gilt die Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT). Magnetfelder erzeugen Schwingungen im Gewebe, deren Echo ein Computer in Schnittbilder umrechnet (Magnetresonanz). So ist ein Bandscheibenvorfall in vielen Fällen gut zu erkennen.

Auch eine Computertomografie (CT) stellt die Wirbelsäule in Schichten dar. Das CT arbeitet mit Röntgenstrahlung, die vor allem Veränderungen an den Knochen gut abbilden. Das Verfahren kommt meist zum Einsatz, wenn nach zusätzlichen Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule gefahndet wird.

Weitere Untersuchungen

Bei Menschen mit einem Herzschrittmacher oder bestimmten Metallimplantaten ist eine Kernspintomografie nicht möglich. Alternativ lässt sich ein Kontrastmittel in den Bindegewebssack (Dura mater) um das Rückenmark, die Cauda equina und Nervenwurzeln spritzen. Auf einem Röntgenbild sind die Einengungen des Wirbelkanals erkennbar. Diese sogenannte Myelografie kann mit unangenehmen Nebenwirkungen verknüpft sein (z.B. Kopfschmerzen, Kontrastmittelunverträglichkeit). Deshalb wird sie heute nur noch bei besonderen Fragestellungen eingesetzt.

Weitere Untersuchungen sind elektrophysiologische Tests zur Bestimmung der Nervenleitfähigkeit und eine Röntgenkontrastuntersuchung der Bandscheibe (Diskografie). Bei Störungen der Blasenfunktion wird die Urinmenge per Ultraschall oder Katheter bestimmt, die nach dem Wasserlassen noch in der Harnblase verbleibt (Restharn).

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Etwa neun von zehn Bandscheibenvorfälle lassen sich konservativ behandeln, also ohne Operation. Patienten erhalten stattdessen Medikamente, physikalische Therapie und Krankengymnastik. Eine ausdrückliche Schonung ist nicht nötig. Vielmehr empfehlen Experten heute, die täglichen Aktivitäten einfach fortzuführen. Allerdings gilt es in der Akutphase, extreme Bewegungen wie Beugungen oder Verdrehungen der Wirbelsäule zu vermeiden. Zu den konservativen Therapien des Bandscheibenvorfalls zählen:

  • die Schmerzlinderung mit schmerzstillenden und entzündungshemmenden Medikamenten
  • bei extremen Schmerzen die wiederholte Injektion von lokal betäubenden Medikamenten in den Bereich der gereizten Nervenwurzeln, eventuell auch per Katheter
  • muskellockernde Behandlungen mit Wärme (Moorpackungen, Rotlicht etc.)

Wenn sich die Beschwerden langsam nach einigen Wochen bessern, ist eine spezielle Rückengymnastik empfehlenswert. Sie soll die Beweglichkeit und vor allem die Stützfunktion der Muskeln verbessern. Eine stabile Haltemuskulatur kann auch vor weiteren Bandscheibenvorfällen schützen. In der sogenannten Rückenschule lernen die Patienten, wie sie Alltagsbelastungen wirbelsäulenschonend meistern können.

Wann eine Operation notwendig ist

Bei starken oder fortschreitenden Lähmungen oder Blasen- und Mastdarmstörungen (Verhalt, Inkontinenz) ist eine Notfalloperation erforderlich. Die Ärzte versuchen, durch ein kleines Knochenfenster das ausgetretene Bandscheibenmaterial oder die gesamte Bandscheibe zu entfernen (Diskektomie). Diese Ausräumung und Dekompression ist heute auch mithilfe mikrochirurgischer Techniken möglich. Über einen kleinen Hautschnitt verschafft sich der Operateur einen Zugang zur defekten Bandscheibe. Gearbeitet wird mit sehr feinen Instrumenten unter mikroskopischer Kontrolle. Bei bestimmten Bandscheibenvorfällen ist auch eine Operation per Endoskop möglich. Das Gerät - eine Art flexibles Sehrohr - besitzt neben der Optik kleine Kanäle, durch die sich feine Instrumente in das Operationsgebiet schieben lassen.

Eine Operation kann die Beschwerden schnell bessern. Statistisch gesehen lassen sich aber langfristig keine besseren Ergebnisse erzielen – abgesehen von den genannten Notfallindikationen. Ein Teil der Patienten muss sich später erneut operieren lassen, wenn z.B. Vernarbungsprozesse im Operationsbereich Druck auf die Nervenbahnen ausüben.

Inzwischen gibt es auch eine große Anzahl von minimal-invasiven Methoden, bei denen über Kanülen schmerzstillende oder abschwellende Medikamente eingebracht werden können. Eine Beschwerdebesserung kann auch mithilfe von Kälte, Laser oder Elektrothermie erzielt werden. Welche Methode im Einzelfall angewendet wird, hängt vom Krankheitsbild und der Erfahrung des behandelnden Arztes/der Ärztin mit der jeweiligen Methode ab.

Welche Folgeerkrankungen können bei einem Bandscheibenvorfall auftreten?

In manchen Fällen verursacht ein Bandscheibenvorfall dauerhafte Schäden an den Nervenbahnen. Das kann zu dauerhafter Taubheit oder Missempfindungen, aber auch zur Schwäche oder Lähmung der betroffenen Muskulatur führen.

Fehlhaltung und Fehlbelastung

Chronische Schmerzen oder die Angst vor einem erneuten Vorfall führen oft zu Verspannungen und Fehlhaltungen, aus denen wiederum neue Probleme entstehen können. Deshalb ist es besonders wichtig, einen Bandscheibenvorfall frühzeitig zu erkennen und richtig zu behandeln. Patienten sollten ihre Rumpfmuskulatur regelmäßig trainieren, damit die Wirbelsäule Stabilität gewinnt.

Operationsfolgen

Nach der Standardoperation eines Bandscheibenvorfalls (Diskektomie) erleiden etwa fünf bis elf von 100 Betroffenen einen Rückfall. Oft tritt der Prolaps an der gleichen Seite auf. Je nach Menge des austreten-den Bandscheibenkerns kann er die gleichen oder noch gravierendere Symptome verursachen. In manchen Fällen bildet sich nach einer Operation Narbengewebe, das auf die Nervenwurzeln drückt. Oft ist eine weitere Operation erforderlich, um dauerhafte Schmerzen und Schäden an den Nerven zu vermeiden. Da der Abstand der Wirbelkörper bei entfernter Bandscheibe geringer wird, kommt es zu vermehrtem Druck auf die Wirbelgelenke. Dies kann zu einem zunehmenden Verschleiß und Schmerzen führen.

Wirbelgleiten

Abgenutzte oder durch eine Operation entfernte Bandscheiben können dazu führen, dass die Wirbelkörper untereinander ihren Halt verlieren. Gleitet ein Wirbelkörper nach vorne, hinten oder zur Seite ab (Spondylolisthesis), kann das die Nervenwurzeln reizen oder den Wirbelkanal verengen. Durch den Druck auf das Rückenmark oder die Cauda equina können Schmerzen, Gefühlsstörungen oder Lähmungen entstehen. In schweren Fällen müssen die Wirbelkörper durch eine Operation gegeneinander stabilisiert werden.

Gibt es Unterschiede zwischen Mann und Frau?

Ein Bandscheibenvorfall kann bei beiden Geschlechtern auftreten. Bei Frauen kommt ein Prolaps im Bereich der Halswirbelsäule etwas öfter vor als bei Männern. Bandscheibenvorfälle der Brust- und Lendenwirbelsäule werden dagegen bei Männern häufiger diagnostiziert.

Gibt es Unterschiede zwischen Jung und Alt?

Am häufigsten trifft ein Bandscheibenvorfall zwischen 45 und 65 Jahren auf. Aber auch im fortgeschrittenen Alter kommt der Prolaps immer häufiger vor. Insgesamt nahm die Häufigkeit der Erkrankung in den letzten Jahren zu. In der Kindheit und Jugend ist ein degenerativer Bandscheibenvorfall extrem selten.