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Nachhaltigkeit

Klima-Angst und Klima-Handeln: Ergebnisse der SINUS-Jugendumfrage 2023-2024

Lesedauer unter 11 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Der Klimawandel betrifft uns alle. Viele Jugendliche haben ausgeprägte Angst davor, das belegen etliche Studien, so auch unsere Sinus Jugendumfrage im dritten Jahr in Folge. Aber/und: es gibt auch viel Bereitschaft zu konstruktivem Handeln. Das hilft der Gesundheit sowohl langfristig, weil Klimaschutz auch Gesundheitsschutz ist, als auch kurzfristig, weil eine aktive Bewältigung von Sorgen psychisch gesünder ist als Passivität.  

Brennende Wälder in Australien und Kalifornien, reißende Fluten in China und im Ahrtal – die Folgen des Klimawandels spüren wir alle immer deutlicher. Und zwar auch diejenigen, die nicht ihr Haus verbrennen oder weggespült sehen mussten, Angehörige verloren haben, in Notunterkünften hausen oder aus ihrer Heimat flüchten müssen. Das immer schnellere Stakkato der Katastrophen, die schrecklichen Bilder davon und gleichzeitig das Gefühl, nichts dagegen tun zu können – das alles setzt uns zu.

Aktueller Hinweis: Seit wir diesen Text erstellt haben, haben sich die Dinge weiterentwickelt. Die Barmer ist bereits seit September 2022 klimaneutral bzw. klimazertifiziert. Erfahren Sie hier mehr. 

Besonders aber leiden junge Menschen darunter: Sie haben mehrheitlich Angst vor dem Klimawandel. Das ergeben mehrere Studien. Die aktuelle Sinus-Umfrage 2023/2024 im Auftrag der Barmer zeigt: 36 Prozent der Jugendlichen hierzulande (2022: 27 Prozent; 2021: 39Prozent) verspüren sogar große Angst vor dem Klimawandel, weitere 27 Prozent haben mittelgroße Angst, nur 16 Prozent haben keine Angst. 

Im Jahresvergleich zwischen Winter 2021/22, Winter 2022/23 und Winter 2023/24 zeigt sich also ein minimaler Rückgang der Verbreitung von Klima-Angst. Stattdessen sind andere Ängste wie Kriegsangst massiv angestiegen. Zugleich bleibt das Gesamtniveau bei der Klima-Angst jedoch so hoch, dass eindeutig zu erkennen ist: im Winter 2021/22 hat es sich nicht nur um einen kurzfristigen Effekt der starkregenbedingten Flutkatastrophe in Westdeutschland, insbesondere dem Ahrtal, gehandelt. Sondern die Klima-Angst ist eine bei Jugendlichen dauerhaft weit verbreitete Gefühlslage.   

Jugendliche zeigen hohe Offenheit für klimafreundlichen Lebensstil

Eine stabile und klare Mehrheit der Jugendlichen (58%) rechnet mit negativen Konsequenzen des Klimawandels für die Gesundheit. Bei Mädchen liegt die Erwartung negativer Gesundheitsfolgen des Klimawandels mit 60 Prozent spürbar höher als bei Jungen mit 55 Prozent. Nur ein Viertel der Jugendlichen erwartet keine negativen Gesundheitseffekte des Klimawandels.
Bereits den Jugendlichen ist Gesundheit sehr wichtig: für 80 Prozent ist sie „sehr wichtig“. Nur Freunde und Familie sind noch etwas wichtiger, alles andere ist weniger wichtig. Somit ist es verständlich, dass es bei den Jugendlichen eine hohe Bereitschaft gibt, den eigenen Lebensstil klimafreundlich auszurichten – und damit auch gesundheitsförderlich. Schließlich ist dies der beste Weg, sich nicht wehrlos ausgeliefert zu fühlen und vielleicht auch anderen Mut zu machen, aktiv zu werden. 
Natürlich muss bei diesen Ergebnissen der sogenannte Value-Action-Gap berücksichtigt werden: Eine Werthaltung, zu der sich jemand in einer Umfrage bekennt, fließt nicht immer automatisch sofort in das tatsächliche Handeln ein. Aber die Einstellung ist mindestens im Ich-Ideal vorhanden und kann durch geeignete Umstände aktiviert werden, falls sie momentan noch nicht handlungswirksam ist.

Auf diese fünf Maßnahmen könnten sich mehr als drei Viertel der Befragten sofort einigen.

  • 87 Prozent sind aufgeschlossen dafür, Verpackungen zu vermeiden 
  • 84 Prozent, beim Pendeln den ÖPNV zu nutzen
  • 79 Prozent, regionale und Bio-Produkte zu bevorzugen
  • 78 Prozent, kürzer zu duschen und 
  • 77 Prozent, auf den Stand-by-Modus bei Geräten zu verzichten

Nur drei von siebzehn abgefragten Merkmalen eines klimafreundlichen Lebensstils sind nicht mehrheitsfähig: 

  • völliger Fleischverzicht (würden nur 41 Prozent bestimmt oder eher tun) 
  • völliger Milchprodukteverzicht (würden nur 33 Prozent bestimmt oder eher tun) und 
  • sparsame Nutzung digitaler Medien (würden nur 40 Prozent bestimmt oder eher tun)

Auch diese neun Verhaltensweisen würden sofort eine Mehrheit finden. 

  • 74 Prozent würden „bestimmt“ oder „eher“ mit dem Rad pendeln
  • 73 Prozent seltener ein neues Smartphone holen
  • 66 Prozent weniger heizen
  • 64 Prozent second hand einkaufen
  • 64 Prozent weniger Fleisch essen
  • 61 Prozent andere zu mehr Klimaschutz motivieren
  • 59 Prozent auf Flugreisen verzichten
  • 58 Prozent kälter duschen
  • 52 Prozent weniger Milchprodukte essen

Mädchen sind in Übereinstimmung mit ihrer höheren Einschätzung der Klimagesundheitsfolgen deutlich eher zu Verhaltensänderungen bereit als Jungen. Teilweise ist der Geschlechterunterschied eklatant: 53 Prozent der Mädchen wären bestimmt oder eher bereit, kein Fleisch zu essen, aber nur 28 Prozent der Jungen. Keine Milchprodukte: hier sind es 38 Prozent versus 28 Prozent. 
Bei vielen Verhaltensweisen liegen die Mädchen moderat oder leicht vorne. Interessante Ausnahme: Bei der Offenheit für kälteres Duschen liegen in der Tendenz die Jungs minimal vorne. 

Weitere Studienergebnisse

Nach den drei am meisten gefürchteten Klimawandel-Folgen gefragt, wird zum dritten mal in Folge am häufigsten die Zunahme von extremen Wetterereignissen genannt, nämlich von 56 Prozent (Vorjahre: 55 Prozent). Bei 45 Prozent gehört der Verlust von Lebensraum für Tiere und Menschen zu ihren Top 3 der Befürchtungen. 
Der Anstieg des Meeresspiegels ist für 25 Prozent eine von drei Hauptsorgen und damit Tendenz weiterhin leicht sinkend wie schon im Vorjahr. Auf 25 Prozent leicht gestiegen ist hingegen die Angst vor negativen Folgen für die Gesundheit. Die Angst vor einem Massenaussterben von Arten sowie die Angst vor Kriegen um Wasser liegen mit 24 Prozent auf demselben Niveau, gefolgt von der Angst vor Waldbränden mit 22 Prozent. Von 12 auf 20 Prozent massiv gestiegen ist die Angst vor verstärkter Migration als Folge des Klimawandels. Die Angst vor wirtschaftlichen Schäden ist hingegen wieder leicht gefallen auf 19 Prozent. 
Auch wenn es nur bei 25 Prozent zu den Top 3-Ängsten gehört: Generell rechnen 58 Prozent der Befragten mit negativen Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Gesundheit. Dies ist häufig noch eine eher unbestimmte Angst, aber 25 Prozent fürchten konkret insbesondere tropische Erkrankungen. Damit ist diese Befürchtung ein weiteres Mal spürbar gestiegen. Und jeweils knapp jeder zehnte hält Hitzschlag (10 Prozent), Hautkrebs (9 Prozent), Depressionen (8 Prozent), Atemwegserkrankungen (8 Prozent) oder Allergien für das größte klimabezogene Gesundheitsproblem.

Damit sind die deutschen Jugendlichen bei weitem nicht allein. Eine weltweite Studie unter Anleitung von Forschenden der britischen University of Bath ergibt ein ähnliches Bild: 60 Prozent der 10.000 in zehn Ländern befragten Jugendlichen gaben an, besorgt oder sehr besorgt über den Klimawandel zu sein; 45 Prozent gaben an, diese Sorgen würden ihren Alltag bestimmen. Und: Rund die Hälfte aller befragten jungen Frauen zögern aus diesem Grund, Kinder zu bekommen.

Tipps für Menschen mit Klima-Angst
Es gibt einige Möglichkeiten, einen besseren Umgang mit der Klima-Angst zu lernen: Was tun bei Klima-Angst?

Psycholog*innen haben dafür schon einen Begriff gefunden: Sie sprechen von Klima-Angst (englisch Climate- oder Eco-Anxiety), wenn sie das Phänomen beschreiben, das bei Jugendlichen zu Trauer, Wut und Verzweiflung führen kann. Doch was genau hat es damit auf sich? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur Klima-Angst:

Ist Klima-Angst aus psychologischer Sicht als Erkrankung einzuordnen?

Offiziell nicht. In den gängigen Krankheitskatalogen kommt der Begriff nicht vor, weder in dem eher allgemeinen ICD-11, noch im psychologischen DSM-5, nicht einmal als Unterkategorie einer Angststörung. Allerdings wird „Eco-Anxiety“ in einem 2017 von der der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) veröffentlichten Bericht benannt und als „chronische Angst vor dem ökologischen Untergang“ beschrieben.

Forschende berichten zudem von Jugendlichen, die sich durch die Klima-Angst durchaus in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt sehen. Die Sorge um das Klima mache sie antriebs- und mutlos, antworten Jugendliche in Fragebögen. Inwiefern das aber Folge oder Ausdruck einer spezifischen Krankheit ist, ist kaum überprüfbar, sondern letztlich eine Definitionsfrage.

Dass Jugendliche besonders sensibel auf die Folgen des Klimawandels reagieren, überrascht Forschende in der Medizin aber nicht. Zum einen haben sie natürlich eine längere verbleibende Lebenserwartung als Ältere und werden daher potenziell mehr und schwereren Klimawandel miterleben. Aber auch auf der Ebene der Verarbeitung von Gefühlen gibt es Unterschiede zu Älteren.

Vor dem 25. Lebensjahr ist der präfrontale Kortex noch nicht vollständig entwickelt. Das ist der Teil des Gehirns, der einen Großteil unseres Verhaltens und unserer Emotionen steuert. Das bedeutet, dass die psychologische Schwelle zum Beispiel für starke Ängste einer jüngeren Person eher niedriger ist als die einer älteren Person.

Teenager und junge Erwachsene gehen emotionaler mit Geschehnissen um und neigen dazu, „mit ihren Gefühlen zu denken“, anstatt Informationen methodisch zu analysieren und zur Not auch zu verdrängen, wenn sie mit einem Problem konfrontiert werden.

Die Bedrohung durch den Klimawandel ist aber ein ständiger Teil des Lebens junger Menschen und ist gerade in den Sozialen Medien permanent präsent, die den Großteil ihres Medienkonsums ausmachen. Das führt dazu, dass sich viele Teenager von negativen Emotionen überwältigt sehen.

Ihr Gehirn kann sich physisch nicht so leicht von der Bedrohung lösen und sie logisch verarbeiten. Mit anderen Worten: Der Klimawandel entwickelt sich schneller, als es das jugendliche Gehirn verarbeiten kann.

Einige Forschende, wie etwa die Bewegung „Psychologists for Future“ warnen aber auch davor, Klima-Angst einseitig als „Störung“ zu beschreiben. Denn Begriffe wie Angststörung oder Depression könnten schnell dazu führen, dass eigentlich normale Gefühle pathologisiert, also als krankhaft gedeutet würden.

Das würde die Angst in den Vordergrund rücken, nicht aber den Klimawandel, der sie auslöst. Klima-Angst, sagen sie, sei eine natürliche, gesunde Reaktion auf eine globale Katastrophe. Und diese Katastrophe gelte es vornehmlich zu bekämpfen, nicht die Angst davor. Psychologen sprechen hier auch von sogenannter instrumenteller Angstbewältigung, die am Problem und seiner Lösung orientiert ist, gegenüber der sogenannten palliativen Angstbewältigung, die auf das Gefühl selbst fokussiert.

Welche Auswirkungen kann Klima-Angst auf Gesundheit und Wohlbefinden haben?

Angst ist ein vielgestaltiger Begriff für verschiedene Phänomene. In einer Gefahrensituation tritt sie als akuter Affekt in Erscheinung. Sie kann dazu führen, dass wir schnell und entschlossen handeln. Sie kann sich aber auch langsam aufbauen und dann regelrecht lähmen. Wenn jemand direkt von einer Naturkatastrophe betroffen ist, treten psychische Folgen relativ häufig auf, das ist wissenschaftlicher Konsens.

Das gilt besonders für posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Ein wissenschaftlich häufig untersuchtes Beispiel sind die Auswirkungen des Hurrikans Katrina in und um New Orleans im Jahr 2005. Hier berichteten 30 Prozent der Befragten danach über PTBS-Symptome.

Doch nicht nur das Trauma eines Extremwetterereignisses lässt Menschen psychisch leiden. Die damit einhergehenden ökonomischen und sozialen Probleme sorgen dafür, dass psychische Störungen wie Depressionen und Angststörungen dann häufiger und stärker auftreten. Nach Katrina berichteten 50 Prozent der Befragten über Angst- oder depressive Symptomatiken. Das fassen Forschende oft unter dem Begriff Solastalgie zusammen. Das steht für belastende Gefühl des Verlustes, wenn jemand die Veränderung oder Zerstörung der eigenen Heimat oder des eigenen Lebensraums direkt miterlebt.

Viele Jugendliche, die über Klima-Angst klagen, sind aber gar nicht direkt betroffen. Und im Gegensatz zur Solastalgie speist sich ihre Angst eher aus drohenden als aus tatsächlich erlebten Ereignissen, ist also keine Reaktion, sondern eine Antizipation.

Deswegen ist dieses Phänomen auch nur schwer zu greifen. Der Grat zwischen „Der Klimawandel macht mir Angst, aber ich kann trotzdem gut schlafen.“ und „Wegen des Klimawandels möchte ich nicht mehr essen.“ ist oft schmal. Klar ist: Wenn die emotionalen Reaktionen besonders stark auftreten, sollten sie nicht verharmlost werden.

Dazu gehören eine besonders ausgeprägte Vermeidungshaltung, ein Gefühl der Handlungslähmung, oder Appetitverlust, Schlaflosigkeit und Panikattacken. Auch psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Magen-Darm-Probleme können von einer solchen Angst ausgelöst werden.

Welche Gruppen der Jugendlichen leiden besonders unter Klima-Angst?

Die Sinus-Umfrage im Auftrag der Barmer zeigt einige Unterschiede unter verschiedenen Gruppen auf. Das Thema Klimawandel empfinden vor allem die formal höheren Bildungsniveaus als sehr wichtig (58 Prozent, Vorjahr 65 Prozent). Bei den formal mittleren und niedrigeren Bildungsniveaus sind es mit jeweils knapp über 40 Prozent deutlich weniger. Auch machen sich tendenziell eher Mädchen große Sorgen als Jungen. 63 Prozent der weiblichen Befragten empfinden das Thema als sehr wichtig, 43 Prozent (Vorjahr: 45 Prozent) haben sogar große Angst davor, während es bei den Jungen nur 31 Prozent sind.

Dennoch greift es zu kurz, das Thema als Problem von Wohlstandskindern und Mädchen zu behandeln. Denn in allen Gruppen ist die Angst vor dem Klimawandel weit verbreitet. In der weltweiten Studie der University of Bath waren die Länder mit dem höchsten Anteil an Befragten, die sich „sehr besorgt“ oder „extrem besorgt“ über den Klimawandel fühlten, die Philippinen (84 Prozent), Indien (68 Prozent) und Brasilien (67 Prozent). Allesamt Länder mit hohen Anteilen von Armen in der Bevölkerung, die aber direkt von den Folgen betroffen sind.

Fazit: im Allgemeinen eine gesunde, weil angemessene Reaktion

Klima-Angst ist ohne Frage unter Jugendlichen weit verbreitet und sollte nicht verharmlost werden. Weitaus überwiegend ist diese Angst aber keine psychische Erkrankung, sondern eine natürliche Reaktion auf eine reale Bedrohung. Und diese Reaktion kann durchaus positive Effekte haben. Im besten Fall wirkt sie sich nicht lähmend aus, sondern motiviert dazu, sich mit der Bedrohung des Klimawandels auseinanderzusetzen und etwas dafür zu tun, sie abzuwenden.

Das zeigen zum Beispiel die vielen Jugendlichen, die sich aktiv im Klimaschutz engagieren. Auch die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg beschrieb, dass sie lange Zeit unter Depressionen gelitten habe, die mit der Angst vor dem Klimawandel zusammenhingen. Und dann begann ihr Kampf.

Hier das komplette Kapitel "Klima und Gesundheit" aus dem Studienjahr 2023/2024 lesen. 

Weitere Informationen zur Barmer Sinus Jugendumfrage 2022/2023 sowie Download der kompletten Studie auf der Seite des SINUS-Instituts

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